ANDREAS SIEMONEIT
Soziale Genies – und die Betonung liegt auf sozial …
Skizze eines sozialwissenschaftlichen Forschungsprogramms
Kernfragen
Warum gelingt es Gesellschaften bisher nicht, offensichtliche soziale und vor allem ökologische Herausforderungen der Moderne zu meistern?
Warum bleibt Wirtschaftswachstum trotz des fehlenden Nachweises seiner Zukunftsfähigkeit das dominante politische Ziel?
Warum hat Marktwirtschaft trotz offensichtlicher sozialer Erfolge bei vielen Menschen einen schlechten Ruf?
Diagnose
In einem Satz zusammengefasst: Zeitgenössische Gesellschaften befinden sich in einen
kognitiven Dilemma zwischen sozialer Moderne und mentaler Steinzeit.
Einerseits ermöglichte technischer Fortschritt unfassbare Produktivitätsfortschritte in Produktion, Handel,
Kommunikation und letztlich eine Globalisierung auf der Basis von Arbeitsteilung und internationalem Handel.
Wir beobachten weltweit eine Konvergenz in Richtung Marktwirtschaft, Demokratie, globale Institutionen („End of History“, Francis Fukuyama).
Die soziale Moderne ist vor allem gekennzeichnet durch die Veränderung der sozialen Interaktionsmechanismen.
Wir interagieren weniger persönlich und direkt („face to face“), sondern mehr anonym und indirekt, häufig über Institutionen
(Rechtsstaat, Sozialstaat, Geld, Märkte). Diese Institutionen sollen Gerechtigkeit sicherstellen, und das bedeutet vor allem: Reziproke Erwartungen.
Andererseits sind Menschen in ihrem Sozialverhalten (im engeren Sinne) immer noch stark geprägt von ihrer evolutionären Herkunft,
der überschaubaren Kleingruppe mit totaler sozialer Kontrolle, unbedingter Loyalität und hohem Konformitätsdruck.
Unsere sozialen Instinkte haben mit der Geschwindigkeit der Moderne nicht Schritt gehalten. Eine diesbezügliche
„Rückwärtsgewandtheit“ lenkt die gesellschaftliche Diskussion und den
politischen Prozess immer wieder in Sackgassen – mit den besten Absichten.
Politisch äußert sich das vor allem im Umgang mit der „Wachstumsfrage“:
- Die gesellschaftliche Mehrheit akzeptiert und stützt eine Wachstumspolitik, die als notwendig für den nationalen sozialen Ausgleich
und die internationale Wettbewerbsfähigkeit erachtet wird. Technischer Fortschritt und Globalisierung werden als politisch nicht
beeinflussbar betrachtet. Kritisch bewertet werden vor allem die ökologischen Konsequenzen dieser Wachstumspolitik
(Klimaveränderung, Planetarische Grenzen). Gleichwohl gibt es ein großes Vertrauen, dass sich die
ökologischen Probleme auf mittlere Sicht vor allem mit technischen Innovationen lösen lassen. Es gibt einen starken
Konformitätsdruck gegen Wachstums- oder gar Fortschrittskritik und gegen „radikale“ Lösungen.
Das Bestehende wird nicht grundsätzlich hinterfragt.
- Eine politisch aktive Minderheit glaubt nicht an die technische Lösung, sondern sieht die Ursache in einem falschen System.
Protestiert wird gegen die Entfremdung der Lohnarbeit, Kommodifizierung von Pflegearbeit,
eine „Entbettung“ der Ökonomie aus ihren sozialen Beziehungen (Polanyi).
Gegen den „Kapitalismus“ werden andere ökonomische Verteilungsformen und politische Mitbestimmungsverfahren propagiert,
welche sich allerdings auf die bekannten und vertrauten Mechanismen persönlicher sozialer Kontrolle stützen:
Solidarische Ökonomie, Gemeinwohlökonomie, Mitbestimmung in Unternehmen usw.
Aus der gleichen Quelle speisen sich Appelle an das „Bewusstsein“ und die
„Motivation“ von Mitmenschen, weg von Egoismen, hin zu Altruismus und Gemeinwohlorientierung. Alle diese Vorschläge
variieren in der einen oder anderen Form das Thema direkte soziale Kontrolle.
Es herrschen „radikale“ Lösungsvorschläge vor, das Bestehende wird voll und ganz
hinterfragt – und oft auch voll und ganz verworfen. Häufig sind hier junge Menschen beteiligt, die in ihrer Adoleszenzphase
anfällig für Extrempositionen sind.
- Die Sozialwissenschaften, die prädestiniert für eine klärende Position wären, sind relativ hilflos,
weil sie nicht in der Lage sind, ihre teilweise uralten Kontroversen aufzulösen, beispielsweise Schulenbildung in Soziologie,
Ökonomik und Philosophie, parallele Gerechtigkeitstheorien, Erklären-Verstehen-Kontroverse.
Wenn es zum Schwur kommt, gibt es keinen Konsens, sondern nur noch Perspektiven.
Das führt zu einem gesellschaftlichen Lock-in: Der „Mainstream“ hinterfragt die bestehende Ordnung praktisch
nicht und hält die Probleme innerhalb der bestehenden Paradigmen (Marktwirtschaft, Wettbewerb, Konzerne, Innovationen,
Subventionen etc.) durch „mutige Politik“ für lösbar. Die „Opposition“ möchte alles anders
machen und führt vielfach völlig ungeeignete Lösungsvorschläge ins Feld, die weder gesellschaftlich noch ökonomisch
fundiert sind. Beiden Seiten gemeinsam ist ein unbedingter Glaube an eine praktisch unbegrenzte Gestaltbarkeit, entweder der materiellen
oder der gesellschaftlichen Bedingungen, und beide Seiten schotten sich (Loyalität, Konformitätsdruck) gegen Argumente ab.
Sozialwissenschaftlich informierte Zwischenpositionen haben kaum eine diskursive Chance. Den einen sind sie bereits zu radikal,
wenn sie Konzernmacht oder Fortschrittsglauben in Frage stellen, den anderen sind sie nicht radikal genug, wenn sie Märkte, Lohnarbeit
und Geld nicht in Frage stellen. Zudem gibt es keine solche Position, die sozialwissenschaftlich allgemein anerkannt wäre.
Biases im gesellschaftlichen und politischen Diskurs
Man kann diese Phänomene in Form bestimmter Schieflagen (biases) klassifizieren, die in der Praxis meist
gemeinsam auftreten und sich phänomenologisch schwer trennen lassen, aber analytisch hilfreich sind.
Sie äußern sich im Bereich gesellschaftlicher Organisation (Politik in einem weiten Sinne) in folgender Weise:
- Mentalismus: Dem Geistigen wird eine höhere Wirkmacht zugerechnet als dem Materiellen.
Man geht von einer umfassenden Formbarkeit der Welt aus, entweder der materiellen Bedingungen
(Kreislaufwirtschaft mit und dank Hochtechnologie) oder der sozioökonomischen Beziehungen („Wirtschaft neu denken“).
Was sich gedanklich vorstellen lässt, lässt sich auch umsetzen.
Die einen ignorieren die grundsätzliche Endlichkeit der Vernutzung entropiearmer, nichterneuerbarer Rohstoffe (Nicholas Georgescu-Roegen)
und die ökonomischen Herausforderungen ernsthaften Recyclings, die anderen ignorieren nicht hintergehbare gesellschaftliche
Fundamentalnormen wie das Leistungsprinzip oder die hohe Akzeptanz der Marktwirtschaft.
⇒ Es werden Gestaltungsspielräume gesehen, die faktisch nicht bestehen.
- Intentionalismus: Als entscheidend für Verhalten jedweder Art werden die „Motive“ von Menschen (Intentionen) angesehen.
Ein falsches (oder fehlendes) „Bewusstsein“ führt demnach zu gesellschaftlichen Fehlentwicklungen wie Egoismus und sozialer Kälte oder einem
Mangel an Altruismus und Gemeinwohlorientierung. Vorherrschend sind moralische Appelle („moralische Aufrüstung“, Karl Homann).
Vernachlässigt wird dabei, dass viele gesellschaftliche Fehlentwicklungen durch die nicht-intendierten
Nebeneffekte „ganz normalen“ Verhaltens (mit)verursacht sind (Sachzwänge, perverse Anreize).
Das Potential von gesellschaftlichen Institutionen bleibt unterbelichtet.
⇒ Es werden Interventionen an die falschen Adressaten gerichtet.
- Funktionalismus: Kurzfristiges Zweckdenken.
Es herrscht die Annahme einer grundsätzlichen Lenkungsmöglichkeit von Entwicklung in bestimmte Richtungen vor,
insbesondere dort, wo Fehlentwicklungen vermutet werden („Gesellschaft gestalten“, „Digitalisierung gestalten“, „Europa gestalten“).
Mehr oder weniger explizite Blaupausen funktionierender Gesellschaft sollen politisch durchgesetzt werden.
Institutionelle Gestaltung wird missverstanden als Gesetzgebung zugunsten bestimmter, als gerecht empfundener Zustände.
Unterschätzt werden dabei zum einen überwältigende ökonomische Anreize für solche „Fehlentwicklungen“, zum anderen wird die
Konsensfähigkeit großer, anonymer Gesellschaften überschätzt. Ein „Wertekonsens“ besteht nur noch auf einer relativ abstrakten Ebene.
⇒ Es kommt zu einem reaktiven politischen Interventionismus, der eher an Symptomen laboriert und
zu komplizierten Gesetzen führt (Mindestlohn, Regulierung von Zeitarbeit, Kunststofftütenverbot, vielfältige Subventionen etc.).
- Konformismus: Soziale Akzeptanz ist entscheidender als inhaltliche Konsistenz.
Zum einen werden bestimmte Themenbereiche konsensuell als nicht hinterfragbar aus der Politik ausgeklammert.
Dazu gehören beispielsweise die Unaufhaltsamkeit des technischen Fortschritts, die Notwendigkeit internationaler
Wettbewerbsfähigkeit unter Freihandelsbedingungen, die Existenz großer Konzerne oder die Unbeeinflussbarkeit von
Bevölkerungsentwicklung. Zum anderen führt Konformismus innerhalb von Subgruppen zur politischen „Lagerbildung“,
zur Betonung von inhaltlichen Differenzen statt Gemeinsamkeiten und überhaupt zur Überbetonung des Sozialen:
Mehrheiten suchen, Geschlossenheit demonstrieren, Erfolge kommunizieren.
⇒ Der politische Prozess wird sehr langsam (kleinschrittig), „kompromissig“ und kontingent abhängig von der momentanen Machtverteilung.
Biases in den Sozialwissenschaften
Die Sozialwissenschaften, beispielsweise Ökonomik, Soziologie, Sozialpsychologie, Moralphilosophie, Politikwissenschaften,
tragen zur Lösung dieser Probleme wenig bei, denn die gleichen Mechanismen wirken auch hier. Die Sozialwissenschaften sind
im Kuhn'schen Sinne vorparadigmatisch. Das in den Naturwissenschaften erfolgreich verfolgte Projekt einer Grand Unified Theory
ist in den Sozialwissenschaften nicht wohlgelitten, und Determinismus ist ein Schreckgespenst vieler Sozialwissenschaftler:innen.
„Eindimensionale“ Erklärungen und „biologistische“ Begründungen werden für den sozialen Bereich vielfach abgelehnt,
weil sie (angeblich) der flexiblen Natur des Menschen nicht gerecht werden würden. Die oben beschriebenen biases äußern sich teilweise auch hier:
- Mentalismus: Theorien sind gefährlich.
Forschungsstrategien wie die „Ökonomische Erklärung des menschlichen Verhaltens“ von Gary Becker oder die
„Erklärende Soziologie“ von Hartmut Esser wurden und werden als arrogante Provokationen empfunden (ökonomischer Imperialismus,
unangebrachter Alleinvertretungsanspruch). In Wirklichkeit steckt wohl eher die Furcht dahinter, dass eine naturwissenschaftlich
informierte Theorie des menschlichen Sozialverhaltens bestimmte (unerwünschte) Gesellschaftsformen legitimieren könnte
(Stichwörter Sozialdarwinismus, Nutzenmaximierung, egoistisches Gen). Es wird vermutet, dass Theorien im Sinne einer
self-fulfilling prophecy die Wirklichkeit prägen könnten. Stattdessen wird Theorienpluralismus gezielt angestrebt
(z. B. Plurale Ökonomik) oder faktisch akzeptiert (Schulenbildung in Soziologie und Ökonomik, parallele Gerechtigkeitstheorien etc.)
– sofern Theorien des Sozialen nicht von vornherein für unmöglich erklärt werden
(Kontingenzperspektive der Sozialwissenschaften, Postmoderne). Eine klassische Analyse dieses bias wurde von dem amerikanischen Anthropologen
Marvin Harris in seinem Buch Cultural Materialism vorgenommen.
⇒ Es kommt zur aktiven Theorievermeidung in den Sozialwissenschaften.
- Intentionalismus: Wir wollen zeigen, dass der Mensch „gut“ ist.
Es gibt ein hohes wissenschaftliches Interesse an „Motiven“, entsprechend auch an Verantwortung, Bewusstsein, Entscheidung,
Wille, Manipulation – alles hochnormative Begrifflichkeiten. Die Rational-Choice-Theorie oder das Konzept der
Nutzenmaximierung werden als weltfremde Engführungen menschlicher Motivation betrachtet. Man streitet um
„das Wesen des Menschen“. Moralphilophie, Sozialpsychologie, Hirnforschung, experimentelle Ökonomik, aber auch
evolutionäre Psychologie erforschen individuelle Handlungen und Handlungsmotive und versuchen zu belegen,
dass Menschen „intrinsisch“ altruistische Motive jenseits von Nutzenmaximierung hätten oder dass es so etwas wie eine
originäre Gruppenselektion gibt. Hier sind „Biologismen“ kein Hindernis, sondern willkommene Begründungen für eine
Gemeinwohlorientierung von Menschen, weil angenommen wird, dass sich nur mit diesem Nachweis der gesellschaftliche
Zusammenhalt retten lässt. Auch hier bleibt das Potential von gesellschaftlichen Institutionen unterbelichtet.
⇒ Es wird sozialwissenschaftlich viel Energie in die falschen Felder investiert.
- Funktionalismus: Wir brauchen bestimmte Theorien.
Aufgrund diverser Selbstbindungen (Wertfreiheitspostulat, wechselseitige Kontrolle durch die Scientific Community)
ist Funktionalismus in den Sozialwissenschaften glücklicherweise kein ernsthaftes Problem. Am ehesten wären noch
Strömungen wie Kritische Theorie oder Transformative Wissenschaft zu nennen, die eine explizite Ausrichtung auf
politische Anwendbarkeit im Sinn haben, oder eine inhaltliche Fokussierung der VWL auf Modellierung, weil man
sich davon eine Annäherung an eine „exakte“ Wissenschaft erhofft.
⇒ Alles in allem vermeiden die Sozialwissenschaften diesen bias meines Erachtens erfolgreich.
- Konformismus: Auf jeden Fall mithalten.
Eine teilweise extreme Spezialisierung in den Disziplinen führt zu abgehobener Selbstreflexivität (der Diskurs
kreist um sich selbst, z. B. Moralphilosophie) und zur Ausbildung von Orthodoxien (z. B. Ökonomik, Soziologie).
Die Figur des umfassend ausgebildeten Generalisten ist bis auf Ausnahmen praktisch nicht mehr vertreten und wird
von den Mechanismen des Wissenschaftsbetriebes auch nicht begünstigt. Damit aber verlieren die Sozialwissenschaften
teilweise den Bezug zur Wirklichkeit: Moralphilosophie wird unempfindlich für Fragen der Praxis, neoklassische
Ökonomik blind für Fragen sozialer Gerechtigkeit, Soziologie weiß wenig über die biologischen Grundlagen des Sozialverhaltens.
⇒ Die Sozialwissenschaften sind in weiten Bereichen langweilig.
Das wissenschaftliche Projekt
Mein wissenschaftliches Projekt besteht in Beiträgen zu den großen sozialwissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontroversen,
die teilweise seit Jahrzehnten nicht aufgelöst werden können. Dabei nehme ich die oben beschriebenen biases zum einen im gesellschaftlichen
und politischen Diskurs, zum anderen in den Sozialwissenschaften unter die Lupe.
Ich versuche, aus den biologischen und materiellen Grundlagen unserer menschlichen Existenz gesellschaftliche Formen
abzuleiten, die in der sozialen Moderne zustimmungsfähig und zielführend sein könnten und es teilweise implizit auch schon sind.
Sozialwissenschaftlich sind das die Positionen der New Political Economy und der Rational-Choice-Theorie, politisch die des Ordoliberalismus.
- Die Systemfrage ist längst entschieden: Marktwirtschaft ist die adäquate Antwort auf die Frage, wie die Ökonomie in einer großen,
anonymen Gesellschaft organisiert werden soll. Kein anderes System ist so einfach, effizient, robust – und gerecht.
Marktwirtschaft ist die organisierte Reziprozität der Moderne, kann aber ihr Potential bislang nicht entfalten, weil leistungslose Einkommen
den dezentralen Kommunikationsprozess über den Wert von Leistungen destabilisieren und das Geldsystem aufgrund der Giralgeldschöpfung
der Banken seine „reziproken Aufgaben“ nur teilweise erfüllen kann.
⇒ Sachbuch Marktwirtschaft reparieren (mit Oliver Richters)
⇒ Diskussionspapier Making
Markets Just: Reciprocity Violations as Key Intervention Points (mit Oliver Richters)
- In modernen Marktwirtschaften besteht ein politischer Wachstumszwang auf der Basis von drei Faktoren: die Kombination
von quasi-natürlichen und unaufhaltsamen Produktivitätsfortschritten (dem individuellen Wachstumszwang), der unhintergehbaren Bedeutung
des Leistungsprinzips für Verteilungsfragen sowie der sozialstaatlichen Verpflichtung, allen Menschen wenigstens ein Existenzminimum
zu gewährleisten (Sozialstaat).
⇒ Sachbuch Marktwirtschaft reparieren (mit Oliver Richters)
⇒ Fachartikel Growth Imperatives – Substantiating a Contested Concept (mit Oliver Richters)
- Es gibt kulturinvariant ein universelles Gerechtigkeitsprinzip: Reziprozität, also die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung
(in einem weiten Sinne), oder negativ formuliert: Vorteile auf Kosten anderer sind inakzeptabel. Kulturell variabel ist, was als
„Leistung“ gilt. Scheinbare Abweichungen von Reziprozität (Gleichheit, Bedarf, „Altruismus“ etc.) sind eher
semantische Konstrukte oder (mehr oder weniger zielführende) Selbstbindungen. Überhaupt wird die diskursive Bedeutung von Selbstbindungen
deutlich unterschätzt. Nur wenige Sozialwissenschaftler hatten das Thema überhaupt auf dem Schirm (u. a. Thomas C. Schelling, Jon Elster, Karl Homann).
⇒ Diskussionspapier Justice as a Social Bargain and Optimization Problem
- Der Einfluss von Material, insbesondere von nichterneuerbaren Rohstoffen mit niedriger Entropie, auf den ökonomischen Prozess wird maßgeblich unterschätzt.
Die Ökonomik hat im Rahmen der marginalen Revolution (2. Hälfte des 19. Jh.) die Frage des „Wertes“ erfolgreich aus ihrem Theoriegebäude
ausgeklammert und befasst sich nur noch mit Preisen. Konsumsoziologen hingegen befassen sich nur mit der subjektiven Wertschätzung von Konsumenten.
Die Idee von objektiven Werten (im Sinne eines Gebrauchswertes) ist in den Hintergrund gerückt. Um ein Bild aus der Astronomie zu entleihen:
Der objektive Gebrauchswert von Rohstoffen und entsprechender Technologie ist gewissermaßen die „Dunkle Materie“ der Sozialwissenschaften –
nicht sichtbar, aber ökonomisch wirksam.
⇒ Fachartikel An offer you can't refuse – Enhancing personal productivity through ‘efficiency consumption’
- Die Entwicklung menschlicher Gesellschaften ist nicht kontingent, sondern maßgeblich eine Antwort auf materielle Bedingungen und Erfordernisse
(„Cultural Materialism“, Marvin Harris). Nicht „Kultur“ oder „Ideen“ treiben Entwicklung in bestimmte Richtungen,
sondern die Systemökologie (in einem weiten Sinne) hebt bestimmte Entwicklungspfade aus den Alternativen heraus und sorgt(e) gegebenenfalls auch für
eine genetische Fixierung entsprechend angepassten Verhaltens (Evolution, Soziobiologie). Nur mit Kenntnis dieser tatsächlich unabänderlichen
Voraussetzungen lassen sich erfolgversprechende gesellschaftspolitische Maßnahmen identifizieren. Biologie und Genetik determinieren nicht Verhalten,
aber sie schränken den politischen Handlungsraum in charakteristischer Weise ein.
⇒ Diskussionspapier Justice as a Social Bargain and Optimization Problem